> Rügen

Das Sylt des Ostens

31.01.2017
Text: Bernd Debus | Bild: Marita Durek und Bernd Debus

Rügen ist mit 926 Quadratkilometern Fläche die größte deutsche Insel. Autor Bernd Debus hat die Top-Ziele auf Rügen mit dem Oldie-Gespann besucht.

Wir sind nicht zum ersten Mal hier auf Rügen. Damals 1992 war das meine erste Reise in das Gebiet der ehemaligen DDR. In Erinnerung geblieben sind mir Bilder einer wilden, ungezähmten Kreideküste, viele graue und heruntergekommene Häuser und eine verbogene Vorderradaufhängung an unserem Auto. Als straßenbautechnisch verwöhnter Westler hatte ich mir einfach nicht vorstellen können, dass mitten auf einer Hauptstraße ein Schlagloch von der Tiefe eines Vulkankraters klafft. Völlig ohne Warnschild und Absperrband.

Mein erster Eindruck: Die Straßen auf Rügen sind in den vergangenen 25 Jahren deutlich besser geworden. Obwohl, wer das Abenteuer sucht, kann es noch finden. Da reicht ein Fehlgriff ins Handschuhfach. Statt einer aktuellen Landkarte erwische ich die Ausgabe von 1992 – und merke es nicht. Meine Lebens- und Reisegefährtin Marita sieht mich zwar etwas zweifelnd an, als ich sie bei Polkvitz auf die „Landstraße“ nach Sagard lotse, denn die Fahrbahn wirkt doch ziemlich schmal. Aber sie fährt weiter, bis aus dem Sträßchen eine grob gepflasterte Allee wird, die gerade noch so für den zwei Meter breiten Eriba Platz lässt. Die Bäume rechts und links müssen Jahrhunderte alt sein. Sie überragen unser Gespann um zig Meter. Aber wenn es um den Altersrekord geht, dürfte der Straßenbelag als klarer Sieger hervorgehen. Hier bewegen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes auf historischem Pflaster.

Für Auto und Wohnwagen wird es zum ultimativen Rütteltest, den beide mit Bravour bestehen. Wir beschränken uns allerdings auf Schritttempo. Für die beiden Radwanderer, die uns entgegenkommen, ist aber selbst das noch zu schnell. Aus der Ferne beobachten wir ihre vergeblichen Versuche, zwischen den unebenen Pflastersteinen eine Spur zu finden, die irgendwie mit einem Zweirad befahrbar wäre. Schließlich steigen sie ab und suchen auf der Landkarte nach einem anderen Weg. Als wir an ihnen vorbeiholpern, bekommen wir ein ermunterndes Lächeln.

Wer eine aktuelle Straßenkarte verwendet, ist jedoch vor solchen Überraschungen gefeit. Es gibt zwar immer mal wieder Abschnitte mit Kopfsteinpflaster. Das befindet sich aber, selbst wenn es schon über hundert Jahre alt ist, immer in einem sehr guten Zustand. Die Steine sind glatt und Schlaglöcher gibt es auch keine. Allerdings schüttelt es die Autos, vor allem bei schnellerer Fahrt, heftig durch. Da wir besonders oft in Ortsdurchfahrten auf Pflastersteine stoßen, liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um ein höchst effektives und preisgünstiges Verfahren zur Verkehrsberuhigung handelt.

Eines unserer ersten Ziele 1992 war der Königsstuhl. Ein Felsvorsprung der Kreideküste im Nationalpark Jasmund. Ich erinnere mich dunkel an einen kleinen Mann im Rentenalter, der mit einer Blechkassette auf einem Holzstuhl vor dem Zugang zum Königsstuhl saß und irgendetwas in der Größenordnung von fünfzig Pfennigen als Eintritt kassierte.

Allerdings fanden wir die Aussicht vom Königsstuhl, im Vergleich zu dem, was der acht Kilometer lange Hochuferweg nach Sassnitz an Ausblicken bot, eher enttäuschend. Trotzdem ist der Königsstuhl eines der Top-Touristenziele auf Rügen. Der Andrang ist so groß, dass die Straße dorthin tagsüber gesperrt wird. Von einem Großparkplatz etwas außerhalb verkehren Pendelbusse. Und auch am Königsstuhl hat sich einiges verändert. Ein Nationalpark-Zentrum wirbt mit dem – Zitat – ganz besonderen Naturerlebnis bei jedem Wetter. Eintritt pro Nase: 8,50 Euro. Wer nur auf den Königsstuhl will, muss auch den vollen Preis bezahlen.

Wir ziehen das Live-Naturerlebnis der Ausstellung im Naturpark-Zentrum vor und machen uns auf die Wanderung Richtung Sassnitz. Am Kieler Wasserfall steigen wir über eine Treppe zum Ufer hinab, entscheiden uns aber dagegen, den Rest der Wanderung am Strand fortzusetzen. Erstens ist das Laufen mit schwerem Gepäck auf dem steinigen Untergrund ziemlich mühevoll. Zweitens hat es in den letzten Tagen ergiebig geregnet und das macht den Aufenthalt unter den zum Teil fast hundert Meter hohen Kreidefelsen nicht ganz ungefährlich. Kreide-Fels klingt zwar solide. Aber die Kreideküste ist alles andere als das. Jährlich gehen etwa 20 Zentimeter Küstenlinie durch Erosion verloren. Die meisten Abbrüche geschehen zwar an frostigen Wintertagen. Aber auch in nassen Sommern rauschen schon mal ein paar hundert Kubikmeter Kreide in die Tiefe.

Erst an der Piratenschlucht, nur wenige hundert Meter vor Sassnitz, steigen wir zum Strand hinab. Übrigens auf einer bequemen und sicheren Treppe. Vor 25 Jahren mussten wir noch abenteuerliche, aus Rundhölzern zusammengezimmerte Leitern hinunterklettern. Doch bereits nach zehn Minuten blockiert ein recht frisch aussehender Schuttkegel den weiteren Weg. Wir müssen in das flache Wasser der Ostsee ausweichen, um ihn zu umgehen. Zum Glück haben unsere Wanderschuhe einen hohen Schaft und sind wasserdicht.

Zweites touristisches Top-Ziel auf Rügen ist Kap Arkona, ganz im Norden der Insel. Auch Kap Arkona ist für Touristen-Autos Sperrgebiet. In Putgarten gibt es einen Großparkplatz mit Imbiss- und Andenkenläden und mit einer gut besuchten Toilette. Für die Benutzung kassiert ein Automat 50 Cent und ein Mann im Türsteherformat achtet darauf, dass sich auch niemand unter dem Drehkreuz durchmogelt. Ein kleines Mädchen reicht kaum an den Einwurfschlitz für das Geld heran. Da nimmt es der Türsteher an der Hand und schiebt das Kind unter dem Drehkreuz hindurch. Ihr Geld darf sie behalten. Die Szene hat mich etwas mit diesem Rummelplatz versöhnt.

Wir fahren weiter zu einem Parkplatz nördlich von Putgarten, direkt oberhalb der Steilküste. Der darunter liegende Nordstrand ist über eine Holztreppe zu erreichen Obwohl wir sonst gerne immer unseren Eriba mitnehmen, sind wir dieses Mal froh, ihn nicht am Haken zu haben, denn am Nordstrand sind Campingfahrzeuge unerwünscht. Wer mit einem Gespann unterwegs ist, soll in Putgarten parken. Tatsächlich gibt es dort extra Parkflächen für Gespanne und Wohnmobile. Gebühr für 24 Stunden: fünf Euro. Da kann man nicht meckern. Wer mag, darf sogar übernachten. Jedenfalls finden wir kein Schild, dass das verbietet. Überhaupt haben viele Parkplatzbetreiber auf Rügen kein Problem mit Caravan-Gespannen und behandeln sie gleich wie Wohnmobile.

Viel Betrieb ist am Nordstrand trotz des schönen Wetters nicht. Wer ohne Strandbenutzungsgebühr, Kurtaxe und Badeordnung schwimmen oder sich sonnen möchte, ist hier richtig. Auch eine Trennung zwischen Nackt- und Textilstrand gibt es nicht. Wer sich ausziehen will, tut das und niemanden stört es.

Wir sind aber nicht zum Baden gekommen, sondern zum Wandern. Also steigen wir wieder die Treppen hoch, holen Rucksack und Kameragürtel aus dem Auto und marschieren los. Erst Richtung Putgarten, dann weiter zu dem kleinen Fischerort Vitt, der versteckt in einer Bucht südlich von Kap Arkona liegt. Als wir in Vitt ankommen, sind die meisten Tagesbesucher längst abgezogen. Wir genießen die Ruhe auf einem Bootssteg am Ufer und bewundern die Aussicht über das Tromper Wiek in Richtung Jasmund und auf das nahe Kap Arkona.

Aussicht aufs Meer hat man am Kap Arkona jedoch nur von den beiden Leuchttürmen aus. Aber die sind abends schon geschlossen. Noch spektakulärer ist ohnehin der Ausblick von Gellort, dem nördlichsten Punkt Rügens. Wir legen die 500 Meter vom Kap bis zum Aussichtspunkt im beschleunigten Tempo zurück und schaffen es gerade noch pünktlich, um die Sonne im Meer versinken zu sehen.

Der Besuch von Binz am nächsten Tag ist dagegen ein echtes Kontrastprogramm. Binz ist nicht nur das größte, sondern nach unserem Eindruck auch das mondänste Seebad auf Rügen und mit dem Ort, wie wir ihn vor 25 Jahren gesehen haben, nicht mehr zu vergleichen. 1992 befanden sich die Häuser mit Bäderarchitektur größtenteils in einem Stadium fortgeschrittenen Verfalls. Fast alle Villen an der Strandpromenade und im Ort wurden inzwischen saniert. Wo die ehemaligen Bewohner geblieben sind, wissen wir nicht, befürchten aber, dass sie bestenfalls jetzt in den Wohnblocks am Ortsrand leben. Die Villen jedenfalls sind an gut zahlende Gäste vermietet. Binz ist prächtig herausgeputzt. Für mein Gefühl zu prächtig. Das ist mir alles eine Nummer zu schick und zu perfekt. Spät abends beobachte ich vor dem Binzer Kurhaus, in dem heute ein Luxushotel residiert, einen Mann mit einer Plastiktüte in der Hand, der die Mülleimer nach Pfandflaschen durchsucht. Ich trinke den letzten Schluck aus der Wasserflasche in meinem Rucksack und drücke sie ihm wortlos in die Hand. Er bedankt sich mit einem Kopfnicken.

Nach einem Spaziergang über die Binzer Seebrücke sitzen wir noch auf einer der Bänke um einen Brunnen, in dessen Mitte eine Uhr aus einer hässlichen Betonsäule blickt. Es handelt sich allerdings um eine historische Säule und deshalb steht sie unter Denkmalschutz. Hinter uns verkündet eine Tafel die Strand- und Badeordnung. In Paragraph 5 lese ich: „Strandburgen dürfen nicht höher als 0,30 m und in ihrem obersten Durchmesser nicht größer als 3,50 m sein.“ Also, liebe Eltern, Maßband, Zollstock und Laserpeilgerät beim Strandgang nicht vergessen.

Im Geiste sehe ich die Strand-Security mit professionellem Bauarbeiter-Equipment die Sandburgen des Binzer-Urlaubernachwuchses kontrollieren. Wir sind dann ziemlich schnell aufgebrochen, denn mich packt eine infantile Lust, am Strand eine Sandburg zu bauen. Genau 40 Zentimeter hoch und vier Meter im Durchmesser. Schade nur, dass ich kein Maßband dabei habe …

Mit dem Wohnwagen-Gespann auf Rügen

Rügen ist mit 926 Quadratkilometern Fläche die größte deutsche Insel. Eigentlich ist Rügen aber eine Inselgruppe, die von Natur und von Menschenhand zusammengefügt wurde. Neben der Hauptinsel gibt es noch Jasmund, Wittow, Ummanz und Hiddensee. Einzig Hiddensee hat sich die Insellage erhalten. Auf Ummanz gelangt man über eine Brücke. Jasmund und Wittow sind über schmale Landrücken, sogenannte Nehrungen, untereinander beziehungsweise mit der Hauptinsel verbunden. Zwischen den Nehrungen und der Hauptinsel haben sich Brackwasserseen gebildet; der Kleine und der Große Jasmunder Bodden.

Wahrzeichen Rügens sind die weißen Kreidefelsen an der Steilküste zwischen Lohme und Sassnitz auf Jasmund und am Kap Arkona auf Wittow. Zum Teil ist die Steilküste hier mehr als 100 Meter hoch.

Den kompletten Reisebericht Rügen mit Infos zur Anreise, Infrastruktur und Sehenswürdigkeiten sowie weitere Campingplätze auf der Insel finden Sie im ausführlichen Reisebericht Rügen in der November-Ausgabe von Camping, Cars & Caravans. Die digitale Ausgabe (ePaper) können Sie hier kostenpflichtig downloaden.

Urlaubsinfos

Tourismuszentrale Rügen, Heinrich-Heine-Str. 7, 18609 Ostseebad Binz, info@ruegen.de
Nationalpark-Zentrum Königsstuhl Sassnitz, Stubbenkammer 2, 18546 Sassnitz auf Rügen, Tel.: 038392/661766, info@koenigsstuhl.com
Tourismusgesellschaft Kap Arkona, Am Parkplatz 1, 18556 Putgarten/Rügen, Tel.: 038391/13037, info@kap-arkona.de
Kurverwaltung Ostseebad Binz, Heinrich-Heine-Str. 7, 18609 Ostseebad Binz, Tel.: 038393/148148, info@ostseebad-binz.de

Campingplätze

1. Krüger Naturcamping, Jasmunder Straße 5, 18551 Lohme/ Ortsteil Nipmerow, Tel.: 038302/9244, info@ruegen-naturcamping.de, www.ruegen-naturcamping.de
2. Störtebeker-Camp, Waldstraße 59a, 18528 Lietzow, Tel.: 038302/2166, info@lietzow.net, www.lietzow.net

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