> Städtetipp Weimar und Gedenkstätte Buchenwald

Eine Zeitreise

11.09.2024
Text: Sylvia Lischer | Bild: Sylvia Lischer, Gerhard Eisenschink

Die zu Fuß begehbare Zeitschneise verbindet das Klassische Weimar mit dem Konzentrationslager Buchenwald. Auch jenseits der Zeitschneise blickt der Weimar-Besucher auf Zeugnisse kultureller Höhenflüge und menschlicher Abgründe.

Noch ein paar Schritte, dann baut sich das barocke Schloss Ettersburg vor mir auf. Es gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe „Klassisches Weimar“ und präsentiert sich nach Renovierungsarbeiten seit 2008 in neuem Glanz. Es gibt ein Neues Schloss zu sehen, ein Altes Schloss, eine mittelalterliche Abteikirche und einen ausgedehnten Schlosspark mit altem Baumbestand. Ende des 18. Jahrhunderts feierte man hier Feste und spielte Theater. Deutschlands Vorzeigedichter Goethe und Schiller waren hier. Und das nicht nur als passive Besucher: Goethe spielte hier zum Beispiel eine der Hauptrollen in einer Aufführung seiner Iphigenie.

Heutzutage ist Schloss Ettersburg eine Tagungsstätte, verfügt über ein schickes Hotel und ein Restaurant. Ich schlendere an Blumen und Palmen in Kübeln vorbei zur Freitreppe und blicke über den Landschaftspark. Zwischen Wäldern zieht sich eine hellgrüne Wiesen-Schneise den Hang hinauf, der sogenannte Pücklerschlag. Er führt hinauf zum Jagd-Stern, wo sich verschiedene Wanderwege kreuzen. Auf der gemähten Wiese des Pücklerschlags stehen uralte Bäume und er sieht genauso aus wie man es mir auf dem Campingplatz Ettersburg beschrieben hat.

Bildergalerie

Wenn ich der Schneise vom Schloss Ettersburg aus folge und am Jagdstern gen Westen abbiege, bewege ich mich auf der sogenannten Zeitschneise. Sie wurde 1999 angelegt, um das „Klassische Weimar“ mit dem Konzentrationslager Buchenwald zu verbinden.

Die Idee zur Zeitschneisen-Wanderung kam mir beim Surfen auf der Internetseite des auf dem Ettersberg bei Weimar gelegenen Campingplatzes „Camping Ettersburg“. „Besuche der Gedenkstätte Buchenwald circa eine Stunde Fußmarsch vom Campingplatz über die Zeitschneise“, stand dort unter Freizeitangebot zu lesen. Ich besorgte mir weitere Infos zu Weimar, Buchenwald und der Zeitschneise – und landete schließlich mit dem Gespann auf dem Ettersberg. Der Campingplatz Ettersburg empfing mich mit einer familiären Atmosphäre, viel Grün, einem Teich mit Goldfischen und einem Imbiss mit täglich wechselnden Gerichten und Sitzgelegenheiten im Freien.

Die Holzbank lädt zur Pause mit Ausblick auf das Schloss Ettersburg und die Zeitschneise ein.

Das Schloss Ettersburg hinter mir lassend, steige ich die Freitreppe hinab und gehe über Wiesenstreifen zum Jagdstern hinauf. Vögel trällern, Bienen summen, Wind raschelt in den Blättern der Bäume. Oben angelangt, werfe ich einen letzten Blick auf das märchenhaft anmutende Schloss.

Neben Schloss und Park Ettersburg zählen zehn weitere Stätten zum UNESCO-Weltkulturerbe Klassisches Weimar. In den Bauwerken und Parkanlagen dieses Welterbes wirken die Ideen und Ideale der Zeit um 1800, als von Dichtern, Philosophen und Theologen in Weimar wichtige Impulse für die Kultur- und Geistesgeschichte ausgingen. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – die Leitgedanken der Französischen Revolution – galten als Ideale. Auch Tugenden wie Humanismus und Toleranz.

Durch den Wald auf dem Ettersberg führen historische Jagdschneisen, die man als Wanderwege nutzt. Vom Jagdstern aus streben zehn dieser Schneisen in alle Himmelsrichtungen. Eine davon nennt sich Grünhausallee, auf der die Zeitschneise in Richtung Buchenwald verläuft. Die luftige Park- und Wiesenlandschaft hinter mir lassend, folge ich dem Wanderweg in den Wald.

Konzentrationslager Buchenwald

Das Gebiet, das ich durchquere, ist im Thüringer Becken ein wichtiges Refugium für Spechte und Milane. Sogar Wildkatzen soll es hier geben. Zu beiden Seiten des Weges wachsen hauptsächlich Buchen. Daher der Name „Buchenwald“, den man dem Konzentrationslager bei Weimar 1937 gegeben hat. „Ein vielversprechender Name“, bemerkt der Schriftsteller und Holocaust-Überlebende Imre Kertész in seinem „Roman eines Schicksallosen“. „Buchenwald“ – das klingt ja auch irgendwie nach Erholung, Freizeit, Unbeschwertheit und Waldbaden.

Ein geschotterter Weg taucht auf, den ich überquere, dann fällt der Blick auf zwei alte Wachtürme und die Betonpfosten eines ehemaligen Lagerzauns. Ich befinde mich auf dem äußeren Postenweg des Konzentrationslagers Buchenwald, auf dem einst SS-Wachmannschaften patrouillierten. Eine Metalltreppe führt nach oben, eine kleinere Treppe schließt sich an. Ein paar Schritte noch, dann trete ich unterhalb eines Wachturms aus dem Wald und blicke auf Stacheldraht und das ehemalige Krematorium.

Von Juli 1937 bis April 1945 betrieben die Nationalsozialisten hier auf dem Ettersberg das Konzentrationslager Buchenwald – mitten in einem bei Weimarern hochbeliebten Wandergebiet. Hier und in den über 130 Außenlagern des KZ Buchenwald wurden mehr als eine Viertelmillion Menschen aus über 50 Nationen gefangen gehalten. Über 56.000 von ihnen wurden ermordet oder fanden den Tod durch Erschöpfung, Hunger, Folter und medizinische Experimente.

 

Einblicke in die NS-Gräuel in der Gedenkstätte Buchenwald. Von Juli 1937 bis April 1945 betrieben die Nationalsozialisten auf dem Ettersberg das Konzentrationslager Buchenwald. In diesem und in den 130 Außenlagern wurden eine Viertelmillion Menschen gefangen gehalten.

Eine Bank am Waldrand lädt zum Ausruhen ein. Während ich dort sitze und auf das Lagergelände blicke, muss ich daran denken, dass Goethe hier im September 1827 ein Picknick abhielt. Schon in den frühen Morgenstunden soll er ein paar Rebhühner mit frischem Weißbrot verspeist, sehr guten Wein aus einer goldenen Schale getrunken und die weite Aussicht über halb Thüringen gepriesen haben. Es ist die Nähe zwischen Barberei und Dichtkunst, Hunger und Verschwendungssucht, Freiheitsidealen und Gefangenschaft, die einem an Orten wie diesem schaudern lässt.

Bevor ich mit dem Bus über Goethes einstige Fahrstrecke nach Weimar aufbreche, besuche ich eine Filmvorführung zum Thema Buchenwald und schließe mich einer Führung über das Lagergelände an. Mit der App „Buchenwald“ und dem Audio-Guide „Ettersburg – Buchenwald“ kann ich die Gegend um die Gedenkstätte in den nächsten Tagen noch ausführlicher erkunden. Jetzt möchte ich die Altstadt von Weimar besuchen, um die vielen Eindrücke aus Buchenwald zu verarbeiten.

Nachdenklich schlendere ich durch die Straßen Weimars zum Marktplatz, miete mir ein Rad in der Tourist-Info und radle durch den Park an der Ilm, der – wie Schloss und Parkanlage Ettersburg – zum UNESCO-Weltkulturerbe Klassisches Weimar gehört. Es geht an Goethes Gartenhaus vorbei. Ein paar Pedalumdrehungen weiter stoße ich über einen Seitenweg auf das „Haus am Horn“. Es ist ein Musterhaus des Staatlichen Bauhauses, das von Walter Gropius – einem der berühmtesten Architekten der Welt – in Weimar gegründet wurde. Neben elf Stätten „Klassisches Weimar“ gibt es nämlich auch noch drei Bauhaus-Stätten zu sehen, die ebenfalls auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes stehen.

Goethes Gartenhaus am Rande Weimars ist heute ein kleines Museum.
Bunt blüht es an der Brücke im Park an der Ilm.

An einem lauschigen Uferplätzchen hänge ich die Füße ins Wasser der Ilm, dann radle ich den Berg hinauf zum Schloss Belvedere, betrachte den Landschaftspark und die Orangerie. Anschließend rolle ich zurück in die Weimarer Altstadt, um die Wohnhäuser von Goethe und Schiller anzusehen. Viele Touristen kommen nur der beiden Dichter wegen in die Stadt. Sie wollen sehen, wie die beiden gelebt haben.

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Tipp: 371. Zwiebelmarkt

Tipp: Am zweiten Oktoberwochenende findet in Weimar bereits zum 371. Mal der traditionelle Zwiebelmarkt statt, der als Thüringens größtes Volksfest gilt.

Weimar hat nur 65.000 Einwohner, die Altstadt ist übersichtlich, sodass ich mit dem Rad bequem von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit radeln kann. Um das Gauforum Weimar finde ich zwei interessante Museen zum Thema Bauhaus und Infos über die Zeit des Nationalsozialismus. Damals sollte das fünfeinhalb Fußballfelder große Gauforum Mittelpunkt der Stadt und Vorbild für andere Städte in Deutschland werden. Doch der unvollendete Protzbau ist der einzige geblieben, und über die heutige Verwendung streiten sich die Gemüter.

Am späten Nachmittag stehe ich vor einer Schiller-Statue. „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd’ er in Ketten geboren“, hat der Dichter geschrieben. Und damit hat er nicht die Entscheidungsfreiheit zwischen Thüringer Rostbratwurst auf dem Marktplatz und Burger auf dem Campingplatz gemeint. Es ging ihm um politische Freiheit. Und um eine Freiheit des Willens, die sich auch unter widrigen Umständen der Menschlichkeit verpflichtet fühlt.

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Info Weimar und Buchenwald

Tourist Information Weimar, Markt 10, 99423 Weimar, Tel.: 03643-7450, tourist-info@weimar.de,
www.weimar.de/tourismus
In der Tourist-Information gibt es eine spezielle Info-Abteilung der Gedenkstätte Buchenwald. Hier finden sich Bücher zum Thema sowie die kostenlosen Broschüren „Der Ettersberg bei Weimar – Zeitschneise“ und „Wegweiser durch die Gedenkstätte Buchenwald“. Auf der Webseite gibt es verschiedene Apps und Audioguides zum kostenlosen Download. Tel.: 03643-745500, buchenwaldinfo-weimar@buchenwald.de, www.buchenwald.de

Am Parkplatz der Gedenkstätte Buchenwald gibt es ebenfalls eine Infostelle mit kleiner Buchhandlung, Tel.:03643-430200, information@buchenwald.de

Tipp: Mit der Weimarcard hat man für 48 Stunden freien Eintritt in Museen in Weimar und in die Gedenkstätte Buchenwald, außerdem kostenfreie Teilnahme an Stadtführungen und freie Fahrt mit Stadtbuslinien. Erhältlich bei der Tourist-Information Weimar (auf der Webseite und vor Ort) für 32,50 Euro
Lesestoff, auch für Erwachsene lesenswert: „Weimar – Der Kinderstadtführer“ von Stefanie Paul, Wartburg Verlag, 10 Euro.

Zur Vorbereitung auf das Thema Konzentrationslager im Allgemeinen und auf Buchenwald im Speziellen empfiehlt sich der „Roman eines Schicksallosen“ von Imre Kertész, Verlag Rowohlt, 14 Euro.

Im Umfeld des Gauforums Weimar (Jorge-Seprún-Platz) kann man sich mit den Glanz- und Schattenseiten Weimars auseinandersetzen: Eine kleine Ausstellung im sogenannten Turmhaus informiert über die NS-Geschichte des Gauforums (auch digital unter www.gauformum.de), im Museum Neues Weimar (Jorge-Seprún-Platz 5) finden sich Kunstwerke der frühen Moderne und eine Ausstellung zum Thema Bauhaus und Nationalsozialismus (www.klassik-stiftung.de/museum-neues-weimar), und im gegenüber gelegenen Bauhaus-Museum Weimar (Stéphane-Hessel-Platz 1) befindet sich die weltweit älteste Bauhaus-Sammlung, www.klassik-stiftung.de/bauhaus-museum-weimar

Die Rauminstallation „Konzert für Buchenwald“ gilt als eines der bedeutendsten Beispiele zum Thema Holocaust in der zeitgenössischen Kunst in Deutschland. Im Straßenbahndepot, Am Kirchberg 4, www.klassik-stiftung.de/rebecca-horn-installation

Die elf Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes „Klassisches Weimar“ sind allesamt einen Besuch wert, eine Auflistung und Infos unter www.weimar.de/kultur/unesco-welterbe

Der Campingplatz Ettersburg ist ruhig gelegen.

Campingplätze in Weimar und Umgebung

Camping Ettersburg, Badteichweg 1, 99439 Ettersburg, Tel.: 0176-22841464, info@camping-weimar.de,
www.camping-weimar.de. Der Campingplatz ist von 1. Februar bis 30. November geöffnet. Er liegt acht Kilometer von Weimars historischer Innenstadt entfernt am großen Ettersberg. Hier gibt es das Schloss Ettersburg, ehemals Sommersitz der Weimarer Herzöge, mit schickem Restaurant, kulturellen Veranstaltungen und Schlosspark (www.schlossettersburg.de). Ein Waldwanderweg („Zeitschneise“) verbindet das Schloss mit der Gedenkstätte Buchenwald (circa eine Stunde Gehzeit ab dem Campingplatz).

Der Campingplatz verfügt über 38 Stellplätze für Touristen, 8 für Dauercamper. Von Bäumen umgebenes Wiesengelände mit Teich. Kleiner Imbiss mit Gartenterrasse, täglich wechselnde Gerichte (18–20 Uhr). Täglich frische Backwaren. Grillplatznutzung kostenlos, Brennholz und Holzkohle kostenpflichtig.
Busverbindung: Buslinie 4 verkehrt zwischen Weimar (z. B. Haltestelle Hauptbahnhof) und Ettersburg. Von der Haltestelle „Am Keßling“ (2. Haltestelle im Ort) lässt es sich bequem zum Campingplatz laufen. An der Bushaltestelle befindet sich ein netter, kleiner Kinderspielplatz.
Der Stellplatz für zwei Erwachsene und ein Kind (bis 14 Jahre) kostet 25 Euro inklusive des Stromanschlusses, und die Service-Pauschale kostet 5 Euro für den kompletten Aufenthalt.

Weitere Campingplätze:
Camping Weimar-Tiefurt, www.camping-weimar-tiefurt.de. Nur 12 Stellplätze und nur von Mai bis August geöffnet. Entfernung von Weimar: 3 km.
Campingplatz „Im Grünen“, www.campingplatzimgruenen.de. 68 Stellplätze für Touristen, 38 für Dauercamper. Entfernung von Weimar: 13 km.
Camping Hohenfelden, www.campingplatz-hohenfelden.de. 570 Stellplätze (220 Plätze für Touristen, 350 für Dauercamper). Entfernung von Weimar: 26 km.

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