Welch ein Idyll! Ganz in der Nähe rauscht ein Bach, es duftet nach Wiesenblumen, irgendwo bimmeln Kuhglocken und der Blick gleitet über zackige Berge. Wir platzieren unseren Wohnanhänger in einem Lärchenwäldchen auf dem Campingplatz Cortina in Cortina d’Ampezzo, klappen unsere Campingstühle auf und genießen die zutiefst friedliche Atmosphäre.
Doch so friedlich wie heute war es nicht immer. Vor knapp hundert Jahren spielte sich hier, an der damaligen Grenze zwischen Österreich-Ungarn und Italien, einer der schlimmsten bewaffneten Konflikte der europäischen Geschichte ab. Nachdem Italien den Habsburgern in Wien im Mai 1915 den Krieg erklärt hatte, verwandelte sich diese Gebirgswelt vom Freizeitidyll in eine hochalpine Hölle. Die Spuren der Kämpfe sind noch immer gegenwärtig und lassen sich auf touristisch top aufbereiteten Wegen im Rahmen von kleineren oder größeren Wanderungen entdecken.
Unsere erste Tour startet am Falzarego-Pass, den wir mit dem Auto über die kurvenreiche SS 48 („Große Dolomitenstraße“) erreichen. Nach einem Blick auf die Wanderkarte gehen wir an der Westflanke des Kleinen Lagazuoi empor, wo wir nach einer Weile auf eine Hängebrücke stoßen. Wie in einem Indiana-Jones-Film führt sie über eine tiefe Felskluft und bringt unseren Herzschlag für einen Moment aus dem Rhythmus.
Doch es besteht kein Grund zur Aufregung: Die schwindelerregende, aber grundsolide Brücke ist Teil des gut gesicherten Wanderweges M 3, der uns zum Gipfel des Kleinen Lagazuoi (2.778 m) führt. Nach der Hängebrücke geht es zunächst einmal klettersteigähnlich weiter: Ausgesetzt und mit Drahtseilen gesichert führt der Weg an einer Felswand entlang. Noch ein paar Schritte steil nach oben, dann ist die schwierigste Stelle der Route überwunden und ein perfekter Felsabsatz zum Rasten erreicht.
Der Wanderweg M 3, auf dem wir uns bewegen, wird auf den Hinweisschildern auch „Kaiserjägersteig“ genannt. Angelegt in der Zeit des Gebirgskrieges 1915 bis 1918, diente er, wie die meisten Steige in den Dolomiten, ursprünglich der Truppenbewegung und dem Transport von Material zu den militärischen Stellungen in den Bergen. In deren Umfeld findet man heute noch Gegenstände aus jener Zeit: Schuhe, Kochgeschirr, Waffen. Mitunter stoßen Bergwanderer gar auf alte Notenblätter, Geigen und Trompeten, die hundert Jahre nach dem Krieg urplötzlich aus dem Geröll zutage treten. Die interessantesten Fundstücke werden im Museum des Festungswerks Tre Sassi am Valparolapass ausgestellt.
Der Kleine Lagazuoi zählt zu den Bergen, die durch die Geschehnisse vor gut hundert Jahren besonders gebeutelt wurden. Von einem mit Halbhöhlen gespickten Felsabschnitt können wir zu den ehemaligen italienischen Stellungen am Martini-Felsband hinübersehen.
Auf schmalem Steig geht es entlang der Felswand des Kleinen Lagazuoi weiter nach oben. Ein Kolkrabe ruft, ansonsten ist es still. Zwischen den Steinen am Weg leuchten winzige violette Blüten, zarte Farbtupfer in dieser Felswüste.
Noch ein paar mit Drahtseilen gesicherte Passagen und ein Pfad über nackten Fels, dann haben wir eines der Highlights unserer Tour erreicht: den Gipfel des Kleinen Lagazuoi.
So traumhaft schön der Rundumblick aus 2.778 Metern Höhe ist – man genießt ihn selten allein. Seit den 1960er-Jahren führt eine Seilbahn herauf und erlaubt ungeübten Wanderern den Aufstieg zum Aussichtsgipfel. Beinahe wünschen wir uns, dass es ihnen nicht so leicht gemacht würde, aber das wäre inkonsequent: Morgen, bei der geplanten Fünf-Stunden-Wanderung zum Monte Nuvolau, werden auch wir ganz froh darüber sein, dass wir zunächst per Sessellift hinauf zum Rifugio Scoiattoli auf 2.225 Meter Höhe fahren können. Auch den Südrand des über 2.200 Meter hohen Gipfelplateaus des Monte Piana werden wir nicht zu Fuß gebezwingen, sondern mit dem Geländewagen-Shuttle-Service bequem emporrollen.
Vorbei am Rifugio Lagazuoi mit seiner gut besuchten Sonnenterrasse gelangen wir zur Lagazuoi-Vorkuppe, die neben einer spektakulären Aussicht auch Schützengräben und einen 1.100 Meter langen, schier senkrecht verlaufenden Felstunnel zu bieten hat. Während wir mit den Taschenlampen in den dunklen Schlund hineinleuchten, erinnern wir uns an die Geschichte von den Crodères, die man uns im Museum Dolomythos in Innichen nahe gebracht hat. Die Crodères sind Felsenmenschen, die mit Felsbrocken nach Menschen werfen, die die Natur missachten und sich zu weit in die Bergwelt vorwagen.
Über die Wanderwege 401 und 402 gelangen wir durch ein Gelände, das aussieht, als hätten die Kinder der Felsenmenschen darin Murmeln gespielt. Wild durcheinandergewürfeltes Geröll ist zu sehen. Hier liegen Stacheldrahtreste, dort vermodertes Holz von einstigen Unterständen. Kurz darauf gleitet der Blick wieder über die spektakulären Dolomitengipfel ringsum. Darüber wölbt sich blauer Himmel mit ein paar Schäfchenwolken – ein friedliches Postkarten-Idyll.
Begleitet vom Pfeifen der Murmeltiere gelangen wir am späten Nachmittag zum Ende unserer Rundtour am Falzarego-Pass. Zeit für einen gemütlichen Ausklang des Tages im historischen Zentrum von Cortina d’Ampezzo, das wir auf dem Rückweg zu unserem Campingplatz erreichen.
Ein Schaufensterbummel über den Corso d’Italia, der Flaniermeile Cortinas, muss sein. Goldene Uhren hier, Diamant-Ohrringe und Kaschmir-Pullis dort. Der Kontrast zu den notdürftig zusammengezimmerten Kriegsstellungen in den kargen Bergen könnte kaum größer sein. Wir essen „Weißwürst con Crauti“ in der Birreria Hacker Pschorr, genießen den fröhlichen Trubel ringsum und bereiten uns mittels Wanderkarte auf unsere weitere Spurensuche in den Dolomiten vor.
Camping-Info
Infos: Cortina Turismo, Via Marconi 15 B, Cortina d‘Ampezzo, www.cortina.dolomiti.org.
Campingplätze in Cortina d‘Ampezzo:
International Camping Olympia, Loc. Fiames 1, I-32043 Cortina d’Ampezzo, info@campingolympiacortina.it, www.campingolympiacortina.it
Camping Cortina, Via Campo, 2, www.campingcortina.it
Camping Rocchetta, Via Campo di Sopra 1, www.campingrocchetta.it
Camping Dolomiti, Via Campo di Sotto, www.campeggiodolomiti.it
Sehenswert
Neben Infos und Exponaten zu Flora, Fauna, Geologie und Sagenwelt der Dolomiten gibt es im Museum „Dolomythos“ eine Sonderausstellung und einen Film über den Dolomitenkrieg zu sehen. www.dolomythos.com
Fundstücke und Infos zum Thema Dolomitenkrieg finden sich auch im Museum über den Ersten Weltkrieg in der Sperre Tre Sassi auf dem Valparola-Pass. Infos unter www.dolomiti.org/lagazuoi
In den Freilichtmuseen an den Cinque Torri, am Lagazuoi und am Monte Piana führen Wanderwege mit grandiosen Aussichten durch die ehemaligen Stellungen des Dolomitenkrieges. Infos unter www.dolomiti.org/ger/cortina/laga5torri/musei und www.montepiana.com
Infobox
Den ausführlichen Reisebericht lesen Sie in der August-Ausgabe 2016 von Camping, Cars & Caravans. Die digitale Version (ePaper) können Sie hier downloaden.