Schon die Anreise in Cortina d’Ampezzo macht Spaß. Wer mit seinem Gespann den 3.218 Meter hohen Monte Cristallo umrundet, der sich im nördlichen Veneto kurz hinter der Grenze von Südtirol und Trentino erhebt, hat Cortina d’Ampezzo fast erreicht. Der kleine, aber weltberühmte Ort mit seinen gerade mal 5.700 Einwohnern kuschelt sich in einer Talsenke: Lengendäre Bergstöcke wie der Lagazuoi (2.835 Meter über NN) und die Tofana di Mezzo (3.244) oder der Croda da Lago (2.715) und die Sorapiss (3.205) umgeben Cortina d’Ampezzo wie eine Krone. Das Olympiastädtchen liegt auf 1.224 Metern Seehöhe mitten im UNESCO-Weltnaturerbe der Dolomiten.
Caravaner suchen sich einen der vier ganzjährig geöffneten Campingplätze aus, die sich rund um Cortina d’Ampezzo gruppieren, eine Reservierung in der Hauptsaison ist ratsam. Von hier aus sind alle Pisten und Loipen, aber auch schöne Wanderwege gut zu erreichen. Und auch jene Sehenswürdigkeiten, die einem Winterurlaub die gewisse Abwechslung verleihen. Um die einzuordnen, gehört ein gewisses Hintergrundwissen dazu.
Politisch gehört Cortina zur italienischen Provinz Veneto, also Venezien. Dennoch wurzelt es im Ladinischen – und damit in einer ganz anderen Tradition. Gerade mal 30.000 Menschen in fünf Tälern Norditaliens sprechen Ladinisch. Die Kinder im benachbarten Südtirol lernen es in der Schule – anders als in Cortina d’Ampezzo.
Tipp: Das völkerkundliche Museum in Cortina d’Ampezzo gibt Einblick in die Geschichte der Region, die im Zuge des ersten Weltkriegs von Österreich zu Italien kam, sich aber ihre Eigenheit immer bewahrt hat.
Elsa Zardini ist Präsidentin der Union de i Ladis de Anpezo und steht allen fünf Tälern vor, die besonders in Zeiten der Globalisierung um ihre Wurzeln kämpfen. „Unsere Sprache, unser kulturelles Erbe sind ein Schatz“, betont sie.
Außer der Sprache sind das die Regole, die Gesetze der ersten Siedler, die sich dem Gemeinwohl verschrieben hatten: Wälder und Almen bilden die Lebensgrundlage, können daher nie Privatbesitz sein. Nach wie vor gehören gut 80 Prozent der Gemarkung den Ursprungsfamilien. Sie sind es auch, die das völkerkundliche Museum führen. Mehr noch: Weiterhin gelten die Leitziele der Regolieri, der Nachkommen der Ursprungsfamilien, die ein Viertel der Einwohner ausmachen. Im Jahr 1990 haben sie den Parco Naturale delle Dolomiti d’Ampezzo eröffnet, italienweit der einzige Naturpark unter privater Regie.
Trotz dieser traditionellen Bindung blickt Cortina d’Ampezzo auf einen lang währenden Tourismus zurück. Schließlich wurden hier 1956 die Olympischen Winterspiele ausgetragen. In vier Jahren, 2026, finden sie hier zum zweiten Mal statt – als Spiele der Nachhaltigkeit.
Damit entspricht Cortina d’Ampezzo dem heutigen Zeitgeist und dem früheren. Schon die jahrhundertealten Regole schreiben fest, Natur und Lebensbedingungen für die nachfolgenden Generationen zu erhalten.
Doch durchaus lässt sich dieses hehre Ziel mit den Eingriffen, die Wintersport mit sich bringt, in Cortina vereinbaren. Weltberühmt ist zum Beispiel die Tofana mit dem markanten Felsen, an dem Top-Athleten bei Wettkämpfen mit mindestens 120 km/h oder schneller vorbeischießen. Was aus dem Fernsehen so vertraut wirkt, das fordert von Urlaubern jedoch Konzentration, vermittelt im Gegenzug aber auch den herrlichen Hauch von Olympia.
Einmal so fahren wie Kristian Ghedina, das sportliche Gesicht des Dolomiten-Dorfs. Seine Grätsche ist legendär: Mit dem Spaß-Sprung im Zielschuss der Streif stahl Kristian Ghedina 2004 in Kitzbühel allen anderen die Show – obwohl er nur auf dem 6. Platz landete.
Vorzuweisen hat der 52-Jährige genug. Der stets strahlende Athlet hält den Streckenrekord auf dem Lauberhorn, fuhr 167 Abfahrtsrennen, schaffte es 33 Mal aufs Podest und startete als erster im Weltcup mit Rückenprotektor. Als einer der erfolgreichsten Rennläufer Italiens repräsentiert er die sportliche Seite Cortina d’Ampezzos.
In seiner Skischule M’over hat der 52-jährige Crack Weltklasse-Champions wie Deborah Compagnoni (Alpin Ski), Pietro Piller Cottrer (Cross-Country Ski) und Giacomo Kratter (Snowboard) um sich gesammelt. Er bietet Gästen exklusive Wintersport-Erlebnisse an der Seite prominenter Profis.
Insgesamt gibt es neun Skischulen in Cortina d’Ampezzo. Die älteste ist die Scuola Sci Cortina: Sie wurde 1933 gegründet, als erste in ganz Italien. Als einzige darf sie die olympischen Ringe in ihrem Logo führen. Die hatten die Gründer der Schule kurz nach den Winterspielen 1956 integriert – bevor das Olympische Komitee deren Nutzung untersagte. Die Skischule beschäftigt 140 Skilehrer, davon 40 Frauen. Die erste, die als Instruktorin in die einstige Männer-Domäne eindrang, war Kristian Ghedinas Mutter.
Doch der Name taucht häufiger auf: An der Bergstation auf 2.340 Meter Seehöhe thront das Rifugio Pomedes. Luigi Ghedina schaffte kurz vor den Winterspielen das Baumaterial auf dem Rücken nach oben – es wurde ein Restaurant gebraucht, der Lift war aber noch nicht fertig. Heute bewahren seine Tochter Renata (56) und ihre Kinder das Hütten-Erbe.
Luigi unterdessen lebt als Legende weiter: Er war 1939 nicht nur Gründer der Sciattoli (Eichhörnchen), die weltweit für ihre Künste und Verdienste um den Klettersport berühmt sind. Er hat auch die Ferrata Punta Anna angelegt, einen der bekanntesten Klettersteige der Dolomiten, oberhalb des Rifugio Pomedes. Von 1956 übrig ist auch das alte Zeitmesshäuschen weiter unten an der Olympia delle Tofane – heute ein nobles Restaurant mit stylishem Ambiente.
Doch Cortina bewahrt nicht nur das Altehrwürdige, hier wird auch Neues geschaffen: Seit dem Saisonstart am 27. November ersetzt der Vierer-Sessel Ra Valles zwei alte Lifte und vereinfacht auf 2.743 Metern den Zugang zur höchsten Piste Cortinas.
Markanter noch: Ab Weihnachten 2021 verbindet die neue Zehner-Gondel Son dei Prade – Bai de Dones die stadtnahen WM-Pisten der Tofane mit dem abgelegenen Genießer-Gebiet Cinque Torri-Lagazuoi. Sie reduziert den Verkehr auf der serpentinenreichen Straße zwischen den beiden Wintersportgebieten und ist für Panorama-Enthusiasten ein Gewinn: Auf der 4,5 Kilometer langen Schwebe-Strecke bieten sich beeindruckende Perspektiven auf die umgebenden Bergriesen.
Weiteres Plus: Der Einstieg in den Verbund Dolomiti Superski mit 1.200 Pistenkilometern ist damit direkt von der City aus möglich – sofern die 120 Pistenkilometer der venezianischen Dolomiten-Stadt nicht reichen.
Apropos Cinque Torri: Mit Blick auf die markante Felsformation gibt es als exklusives Erlebnis zum Sonnenuntergang Champagner im heißen, blubbernden Wasser des Whirlpools mitten im Schnee.
Der Tannenholz-Bottich ist pro Abend nur einmal buchbar: allein, zu zweit oder für bis zu acht Personen (180 Euro pro Besetzung, inklusive Aperitif und Häppchen). Nach jedem Bad wird das Quellwasser frisch eingelassen und im Holzofen auf 38 Grad erhitzt.
Für die Schritte vom Rifugio Scoiattoli bis zum Bottich gibt’s Felldecken und Schlappen. Wer im Hot Tub ist, will kaum mehr raus. Wenn nicht das Abendessen wäre: hervorragende regionale Küche auf 2.255 Metern und Spitzen-Weine. Wer mag, fährt mit Skiern und Stirnlampe wieder ins Tal – oder mit Hüttenwirt Guido Lorenzi im Schneemobil.
Der 57-Jährige hat das Rifugio von seinem Vater Lorenzo übernommen – einem Alpha-Männchen besagter Sciattoli. Im Angesicht der Cinque Torri, einem der schönsten Naturklettergärten Europas, errichtete Lorenzo Lorenzi 1969 das Rifugio – und mit Freunden gleich den ersten Sessellift. Das waren die Anfänge des Skigebiets, das mit seiner tollen Infrastruktur auch allen Campingbegeisterten viel Freude macht.
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